Montag, 23. Oktober 2017

Piranesi-Perugia mit Schokoladenseite

 
 
 
 

 
Unser Reisebus hatte uns am örtlichen Busbahnhof abgesetzt, am "Piazza dei Partigiani". Von dort ging es über ein System von Rolltreppen und kurzen Fußwegen nach oben - in den Untergrund.

1540 hatte Papst Paul III das aufsässige Perugia in einem sog. "Salzkrieg" bezwungen [ausführlich in der italienischen Wikipedia. Es ging um die Besteuerung von Salz; übrigens spielte die Salzsteuer (allg. hier) auch nach der italienischen Einigung im 19. Jh. wieder eine bedeutende Rolle]. Zur Sicherung seiner Herrschaft ließ er unverzüglich eine gewaltige Festung errichten, die nach ihm benannte "Rocca Paolina" (zahlreiche Fotos der heutigen unterirdischen Überreste dieser Anlage z. B. hier; dieser englischsprachige Text berichtet auch über eine andere, frühere Papstfestung in der Stadt. Sehr ausführlich (auch über die Zerstörung der Burg) informiert die englischsprachige private Webseite "Key to Umbria" und noch detaillierter, auch zur Freilegung der unterirdischen Strukturen - insbesondere ab 1963 - hier).
 
Auch eine Video-Animation der einstigen Festungsanlage bietet uns das Internet:


 
Meine eigenen Aufnahmen sind weniger prächtig geraten als die (mehr oder weniger) "offiziellen Fotografien". In diesen nur spärlich beleuchteten Hallen und ohne Stativ musste ich mit 1600 oder gar 3200 ISO arbeiten; da sind die Aufnahmen naturgemäß nicht so knackscharf ausgefallen, wie jene Profi-Fotos, die vermutlich mit Stativ und/oder intensiver Ausleuchtung aufgenommen wurden.
 
Nachfolgend einige Impressionen (von dem verhältnismäßig langen Aufenthalt mit unserer Stadtführerin) aus den Kasematten der Festung, die noch bedeutende Reste jener Wohnhäuser usw. enthalten, welche mit der Papstburg überbaut wurden:
  
 
Nicht selten fühlte ich mich an die "Carceri d'Invenzione" erinnert, jene berühmten Kupferstiche von Giovanni Battista Piranesi, die geradezu kafkaeske Raumstrukturen zeigen: alptraumartig ausweglose Labyrinthe (faszinierend als Video-Animation). 
  
 
Der Baumeister der Festung, Antonio da Sangallo der Jüngere, bewies Pietät gegenüber dem historischen Erbe der Stadt. Den oberen (Schmuck-)Teil des etruskischen Stadttors "Porta Marzia" (hier zusammen mit den anderen Toren in der etruskischen Stadtmauer behandelt) versetzte er um einige Meter und integrierte es in die Festungsmauer, damit es weiterhin sichtbar blieb:
 
Das Tor darunter freilich mutierte zum Micker-Pförtchen, dass nur noch Fußgängern dient (könnte mir  sogar vorstellen, dass es zu seiner Zeit gar keinen Durchlass in der Festungsmauer gab und dieser erst später geöffnet wurde; schließlich hätte eine solche Pforte die Verteidigung stark geschwächt):

 
Oben in der Höhe, dort, wo einstmals die oberirdischen Festungsbauten standen, erhebt sich heute an der "Piazza d'Italia" der "Palazzo della Provincia e della Prefettura":
 
Einen Blick werfen wir noch auf die imposanten Festungsmauern ..... 
 
 
..... bevor wir oben die süße Seite des Lebens entdecken - oder doch beinahe entdeckt hätten. Denn leider begann die internationale Schokoladenausstellung "Eurochocolate" erst am 13.10.2017 und damit genau einen Tag nach unserem Besuch:
 
Aber überall in den Straßen der Stadt waren bereits die (einheitlich gehaltenen) Verkaufsbuden (bzw. genauer: Verkaufszelte) aufgebaut.
Hier ein Blick durch die Arkaden, die den Palazzo della Provincia ..... umgeben, nach Süden in Richtung der Grünanlage "Giardino Carducci".
 
Der Blick in der Gegenrichtung: Von der Parkanlage auf die Arkaden des Regierungspalastes:
 
Was sagen wir, als Menschen mit klassischen Bildungstrümmern zum folgenden Foto?
ICH würde mal sagen: Et tu, Italia? :-)

 
Macht aber nichts, dass auch Italien auf den Hamburger gekommen ist.
Die Verkaufszelte (130, sofern die Zahl der Unternehmen mit derjenigen der Verkaufsstände identisch ist, in mehreren Straßen und Plätzen) bieten noch viele weitere (und schönere) Motive zum Knipsen:
 
 
 
 
Und für den Hunger auf was Süßes gibt es das 1860 von einem Schweizer aus dem Engadin gegründete Café bzw. die Konditorei Sandri ("Pasticceria Sandri") auf dem Corso Vanucci (der Hauptstraße der Altstadt), gegenüber der Längsfassade des Palazzo dei Priori. Das hat wegen seiner Berühmtheit sogar einen Eintrag in der italienischen Wikipedia.
 
Aus Anlass der diesjährigen Schokoladenfestes hatte man eine Art Torte gebacken und im Schaufenster (vgl. vorangehendes Foto links) ausgestellt (inwiefern sich das ganze Festival - auch - um Musik drehte, wird hier erläutert; dort ein deutschsprachiger Bericht über die Veranstaltung von 2015):
 
Für gemütliches Kaffeetrinken fehlte die Zeit; aber zwei kleine Törtchen wollte ich denn doch probieren. Die waren naturgemäß nicht spottbillig; aber im Vergleich etwa zu den Preisen in den Cafés rund um den Markusplatz in Venedig dann doch wieder recht moderat:
 
Falls Sie mir jetzt auf's Dach steigen wollten (z. B. weil ich Ihnen den Mund wässerig gemacht habe auf Leckerli, die Sie momentan nicht bekommen können) .....
 


..... dann müsste ich meinen Freund zu Hilfe rufen: Den Vogel Greif.

Den führen eine ganze Reihe von Orten und Familien im Wappen; aber in Perugia ist er in plastischen Abbildungen überall in der Altstadt präsent (z. B. gemeinsam mit dem weiteren Wappentier, dem Löwen, auch an der Fontana Maggiore, dem großen Brunnen auf dem Hauptplatz der Stadt).
Beidseitig bewachen diese Viecher auch das große Schmuckportal der Längsseite (also zum Corso Vanucci hin) des Palazzo dei Priori:



Dieser "Grifone" thront auf dem Provinzpalast und dürfte der größte der Peruginer Greifen sein. Wie sein böser Gesichtsausdruck verrät (dem wir bereits oben begegnet waren), wartet er nur darauf, dass er heruntergeholt wird und zum Einsatz kommt:

Da machen wir es wie König Vittorio Emanuele (der Zweite), satteln flink unser Ross und reiten davon! (Denn auch der König auf der Piazza d'Italia ist klug genug, dem Greifen den Rücken zuzudrehen.)


Wir sind nicht die ersten Deutschen in Perugia. Manche von unserenVorgängern haben nicht den besten Eindruck hinterlassen. 493 und 548 kamen die Goten zu Besuch, waren freilich unwillkommen und mussten sich den Zutritt bedauerlicher Weise mit Gewalt erzwingen.
Im Hochmittelalter war es dann eher die Stadt selber, die sich in anderer Leute Territorium hineindrängte. Nach einigem Hin und Her kehrte ab 1540 unter der Papstherrschaft Frieden ein; allerdings war Perugia damit auch relativ bedeutungslos geworden.
1943 kamen noch einmal Deutsche in organisierten Gruppen; allerdings nicht mit Reisebussen, sondern (vermutlich) mit Panzern und auf Militärlastwagen.
Der
Eglo Tenerini (linke Tafel) war ein Partisan. Dennoch war er kein Opfer der deutschen Besatzungsmacht, sondern der italienischen faschistischen Behörden.
Die rechte Tafel erinnert an 500 umbrische Kämpfer, die in deutschen Lagern interniert waren und dort umgekommen sind. Weiß nicht, ob das alles Partisanen waren, oder - teilweise - auch Soldaten der regulären italienischen Armee. Auch die wurden ja nach der deutschen Besetzung Italiens großenteils interniert - und ausgesprochen schlecht behandelt. Ein (sehr informativen) italienischer Wiki über Perugia enthält auch eine Liste der Gedenktafeln; die rechte ist dort aber leider nicht aufgeführt.
 
Auch dies ist, gewissermaßen, ein Schatten der Vergangenheit. Auf die südliche Längsseite des Domes projiziert die Sonne den Umriss der Bronzestatue des Papstes Julius III aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Diese hatte die Stadt aus Dankbarkeit aufgestellt, weil der Julius III ihr ein gewisses Maß von jener Selbstverwaltung zurückgegeben hatte, die sie durch den Salzkrieg verloren hatte.  (Im Vordergrund der berühmte Brunnen, die "Fontana Maggiore".)
 
Dieser Blick erfasst den Brunnen aus der umgekehrten Richtung, vom Dom nach Süden auf die Schmalseite des Palazzo dei Priori, des einstigen Regierungssitzes des Stadtstaates Perugia.
 
Die drei Grazien auf der obersten Brunnenschale tragen auf ihren Rücken Gefäße, aus denen das Wasser hervorsprudelt:
 
 
Ein Blick durch die Säulen hindurch, auf denen die obere marmorne Brunnenschale in der unteren steht:
 
 
Die (schmalseitige) Fassade des Priorenpalastes, die sich dem Brunnen bzw. dem ganzen Platz zuwendet ("Piazza IV Novembre"; am 4. 11. 1918 hatte das italienische Oberkommando den Sieg im 1. Weltkrieg gegen Österreich-Ungarn verkündet):

 Der Gesamtkomplex des Palastes, aus leicht unterschiedlichen Winkeln aufgenommen:
 


Aus der Gegenrichtung, vom Corso Vanucci kommend, stellt sich die Längsfront des mächtigen Gebäudes so dar:

Im Obergeschoss ist heutzutage die größte umbrische Gemäldegalerie untergebracht, die Galleria Nazionale dell'Umbria (hier der Grundrissplan).
 
 
Viel freie Zeit hatten wir nicht zur Verfügung (weder in Perugia noch in den anderen besuchten Orten); diese Bustouren sind naturgemäß mehr auf Entertainment als auf Eigeninitiative der Reiseteilnehmer ausgerichtet.
Immerhin haben wir es geschafft, die "
Via Volte della Pace" zu durcheilen, in der einst Friedensschlüsse (mit anderen Stadtstaaten, aber auch in den zeitweise ziemlich wilden innerstädtischen Auseinandersetzungen) ausgehandelt wurden. Der Straßenverlauf folgt der etruskischen Mauer, die sie nach außen (also hier nach rechts) abstützte. Dort öffnete sie sich früher in Arkaden zum Tibertal hin. Jetzt ist sie ziemlich zugebaut und finster, und wird (wovon wir freilich nichts gesehen haben) wohl auch von finsteren Elementen frequentiert. Jedenfalls fragt ein Leserbriefschreiber in einem lokalen Online-Medium ironisch, ob es sich um die Straße des Friedensgewölbes handele, oder um die Spritzenstraße (gemeint sind Drogenspritzen):
 
 
Hätten wir alle Zeit der Welt gehabt, dann hätten wir sicherlich hier zu Mittag gespeist. Dieses Restaurant "Ristorante la Botte" (auch auf Facebook präsent) wird jedenfalls auf TripAdvisor sehr gelobt. Und es ist preiswert, weil es versteckt am Ausgang der Via Volte della Pace zur Via Bontempi hin liegt, wo die Laufkundschaft nicht hinkommt.

Wir nähern uns nun dem "Colle del Sole", dem höchsten Punkt der Stadt (493 m). Der italienische Eintrag über Perugia informiert im Kapitel 'Physische Geographie':
"L'acropoli perugina sembra costruita su una sola collina ma in realtà sono due: il colle del Sole e il colle Landone. La massima depressione tra le due alture si estende dal fosso di Santa Margherita, a est, al fosso della Cupa, a ovest. Gli Etruschi scelsero quest'area in quanto ricca d'acqua, ma presto ci si accorse che il terreno è anche franoso, cosa che nei secoli ha dato luogo a poderose fondazioni e fortificazioni che tuttora impongono in più punti costanti interventi di manutenzione."

Frei übersetzt also in etwa:
Das Zentrum der Altstadt scheint auf einem einzigen Hügel gebaut zu sein; tatsächlich sind es aber ZWEI: Der Sonnenhügel und der Landone-Hügel [auf dem sich der Provinzpalast und die Piazza d'Italia befinden]. Die Etrusker hatten sich dieses Gebiet ausgesucht, weil es reich an Wasseradern ist. Aber sehr schnell merkte man, dass der Boden rutschig ist. Das zwang im Laufe der Jahrhunderte zum Bau von immer neuen Unterfütterungsmauern und noch heute sind an einigen Punkten ständige Unterhaltungsarbeiten an diesen Strukturen erforderlich.

Die hier sichtbaren Niveauunterschieden der Bebauung geben vielleicht eine anschauliche Vorstellung davon:
 
Die Altstadt ist extrem dicht bebaut; da wächst kein Grashalm mehr. So tut es dem Auge gut, zwischendrin eine rare Balkonoase mit Blumen zu erblicken:
 
An einigen Punkten kann man freilich auch weit ins Umland schauen:
  
 
Aus einiger Entfernung herangezoomt hier die mächtige Porta Sant'Angelo (die heute ein Stadtmauermuseum beherbergt; s. a. Wikipedia-Stichwort) am Nordende der mittelalterlichen Stadt (die etruskisch-römische Siedlung war kleiner).Rechts daneben (hier nicht sichtbar) steht die antike Kirche (damals außerhalb der antiken Stadtmauern errichtet) Chiesa di San Michele Arcangelo (häufig kurz "Tempio di Sant'Angelo" genannt). Schon aufgrund ihres Alters ist das sicherlich eine der ganz großen Sehenswürdigkeiten von Perugia; aber leider reichte unsere Zeit nicht aus, um dorthin zu kommen.

Das große Gebäude ist der barocke Adelspalast Palazzo Gallenga Stuart (auch "Antinori"), heute Sitz der berühmten Ausländeruniversität von Perugia ("Università per Stranieri di Perugia").
Dort unten, an der Piazza Braccio Fortebraccio, liegt auch der Arco Etrusco (oder "Arco di Augusto"), ein relativ gut erhaltenes Stadttor teils noch aus etruskischer, teils aus römischer Zeit. Aber auch dafür war unsere Zeit leider allzu knapp bemessen.
 
Wir kehrten also um und machten noch einen Rundgang um den Dom und zurück auf den Hauptplatz. Denn die "Via Maestà delle Volte" (ein Brunnen in dieser Straße ist neuen Datums) wollte ich doch auch noch sehen - und fotografieren:
 
 
 
 
Links zu anderen interessanten Seiten über Perugia:
  • "Pelzli", ein Schweizer Blog mit zahlreichen Fotos.


Dies ist der dritte Teil meiner, gewissermaßen, "Tagebuch-Einträge" über unsere Umbrien-Reise von Mitte Oktober 2017. Vorangegangen sind:
  1. Corcontento a Corciano und
  2. Die Flaschen leeren, um die Rentenkasse zu füllen: Weinprobe in der Cantina Pucciarella


ceterum censeo

Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!
Textstand vom 23.10.2017

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