Dienstag, 10. April 2018

Die "Hammerwende"

 
 

Nach Wangen zu gelangen ist ein umständliches Unterfangen - wenn man von Füssen kommt und mit der Bahn reisen muss: Umsteigen in Buchloe, Memmingen und Isny auf der Hinfahrt, in Hergatz und Kaufbeuren auf der Rückfahrt. Dies galt jedenfalls für die von uns ausgewählten Züge am Samstag, 10.03.2018. So hatten wir denn auch nur knapp vier Stunden Aufenthalt in der Stadt.


Das folgende Foto zeigt den
Postplatz mit der Rückseite des Rathauses und daneben einen Turm (Ratloch oder Pfaffentor), der ursprünglich von der ersten Stadtbefestigung stammt. Die Schauseite aus der Zeit des Rokoko, zum Marktplatz ausgerichtet, ist schöner, war aber mit einer Bauplane verhängt. Auf der war zwar die Prunkfassade abgebildet; aber ein Bild von einem Bild zu machen war mir dann doch zu dumm.)
Das Rathaus und die Martinskirche liegen in der "Oberstadt"; der Fotograf steht in der "Unterstadt", die erst später ummauert wurde. Dort befindet sich auch das
Kornhaus, das heute die Bücherei beherbergt .....
 
..... die ich natürlich (zum Glück ist sie auch samstags geöffnet) auch von innen besichtigt habe:
 
Hingefahren waren wir eigentlich wegen einer Ausstellung von Teddybären, von der ich zufällig gelesen hatte, dass sie am nächsten (Sonn-)Tag enden würde. (Ausführlicher Bericht in der "Schwäbischen" vom 09.12.2017 unter "Bärenstarke Ausstellung in der Badstube". (Momentan noch online sind auch auf der Webseite der Stadtverwaltung die Texte "Städtische Galerie setzt Teddybären in Szene", ebenfalls vom 09.12.17 und "Die Liebe zum Teddy ist unergründlich" vom 25.12.2017.

Aber zunächst konnten wir der Versuchung nicht widerstehen, einen Flohmarkt in der Alten Turnhalle zu besuchen. Der war mit Ausstellern gut bestückt; ich ergatterte immerhin den "Großen Kunstführer" (Nr. 179) aus dem Verlag Schnell und Steiner, in der 2. Auflage von 2002. Das Buch (näher beschrieben bei Amazon) ist vergriffen, aber antiquarisch (oder in Restbeständen) noch am Markt. Eine weitere Neuausgabe ist anscheinend nicht erschienen; es gibt also offenbar keine Nachfrage dafür. (Da sich beinahe die Hälfte des Buches mit der Stadtgeschichte befasst - und durchgehend farbig bebildert ist -, kann ich es interessierten Stadtbesuchern nur empfehlen.) (Zur Geschichte vgl. auch den Wikipedia-Eintrag, das "landeskundliche Informationssystem für Baden-Württemberg" und die sehr ausführliche Kirchengeschichte auf der Webseite der Gemeinde St. Martin.)
 
Tatsächlich ist die Anzahl der Sehenswürdigkeiten in der Stadt überschaubar. Wer (wie ich) mit "Reichsstadt" die Vorstellung von Nördlingen, Dinkelsbühl oder Rothenburg verbindet, muss hier Bescheidenheit lernen. Schmiedeeiserne Wirtshaus- und Geschäftszeichen verhelfen der für mittelalterliche Städte relativ breiten Herrenstraße zu einem altertümlicheren Aussehen; tatsächlich stammen die allermeisten aber erst aus dem 19. und 20. Jahrhundert.

Vom Bahnhof auf dem Fußpfad an der evangelischen Stadtkirche vorbei herabsteigend gelangten wir durch das markante Liebfrauentor (Ravensburger Tor) in die Altstadt - und gleich in deren repräsentativste Straße, die "Herrenstraße". Rechts das "Ritterschaftshaus" (manchmal auch "Ritterhaus" genannt) vom Ende des 18. Jahrhunderts, also aus jener Zeit, als Wangen noch eine "Freie Reichsstadt" war.

Malereien auf der Innenseite des Liebfrauentors:
 
Auch einige Fachwerkbauten findet man in der Herrenstraße:
 
Hier der illusionistisch mit Quadersteinen bemalte Fassadenteil auf der linken Seite:
 
Im "Thiermannhaus in der Schmiedstr./Ecke Trinklaube, war ein (einzelner) Mann am Arbeiten. Das Gebäude hatte vor einigen Jahren einen Brandschaden erlitten und seine Sanierung war und ist anscheinend immer noch zwischen Stadt und Eigentümerfamilie umstritten (Artikel vom 12.03.2018; hier ein Bericht vom April 2017). Obwohl diese Familie es nach dem Brand mit dem Ziel einer Restaurierung angekauft hatte (Artikel vom 23.01.2013):
 
Hervorragend erhalten ist dieses Gebäude am Saumarkt. Aber das hat ja auch noch keine 600 Jahre auf dem Buckel, sondern datiert offenbar aus der Zeit um 1900:
 
Weil es leicht nieselte, und wir wenig Zeit hatten, habe ich nur wenige Fotos aufgenommen. Schönere sieht man z. B. auf dieser Allgäu-Webseite, und natürlich auf der Webseite der Stadtverwaltung.

Wir hätten fast gar nichts gesehen, wenn wir nicht einen Restaurantbesuch verzichtet hätten. Stattdessen kauften wir in der Bäckerei "Fidelisbäck" Brötchen mit Leberkäs. Der wird viel gerühmt; ich selber fand ihn eigentlich nur salzig.
Trotzdem waren wir froh, auf diese Weise unser Mittagessen unterwegs zu uns nehmen zu können und so doch wenigstens ein wenig von der Stadt zu sehen.

Eis haben wir allerdings gegessen, und ich sogar zweimal: Im Eiscafé Pinocchio (Homepage) direkt am Marktplatz, also zentral in der Stadtmitte. Stühle haben die zwar nur draußen; aber das Eis ist preiswert (1,- € die Kugel) und ausgezeichnet. Vor allem sehr dicht; nicht so ein aufgeschäumtes Zeug, das sich sofort auf der Zunge auflöst.
In der Herrenstraße nahe beim Liebfrauentor, gibt es Eiscafé Capri. Dort kostet die Eiskugel freilich 1,20 €; das sind für mich "Füssener Preise", die ich ungern bezahle. Allerdings ist es bei Google sogar noch ein wenig besser bewertet als das Pinocchio; sollten wir jemals wieder nach Wangen gelangen, werde ich mir zum Vergleich auch im "Capri" die Kugel geben (lassen).
 
 
Die Stadt erlebte bzw. durchlitt die üblichen Plagen: Pest, Krieg, Besatzungen, Feuersbrünste. Im 2. Weltkrieg hatte sie Glück und blieb unzerstört.
Aber EINMAL in ihrer Geschichte hat sich dort etwas ganz Besonderes zugetragen: Ein bereits eingedrungener Feind mit starker Mannschaft wurde wieder vertrieben. (Und später der Anführer des Haufens nach Belagerung einer Burg sogar gefangen genommen.)
Das dürfte ein im Mittelalter ziemlich seltener Fall gewesen sein; deshalb hat er mich so interessiert, dass ich (im Internet) etwas vertieft recherchiert habe.

Die Gemeinde ist sich der Rarität eines solchen Geschehens bewusst und hat die Erinnerung kürzlich mit einem Schauspiel unter dem passenden Titel "Hammerwende" wiederbelebt:

Diesem Historienspiel liegt ein Ereignis vom 31.07.1389 (teilweise werden auch andere Daten genannt) zugrunde. Ort des Geschehens war die Schmiedstraße; Akteure waren auf Seiten der Stadt die Schmiede (nach denen die Straße benannt ist) und auf der Gegenseite Johannes II. von Waldburg, weitere Adelige und gedungene "Kriegsknechte", also Söldner.
 
Allzu detailliert sind die überlieferten Beschreibungen des Sachverhalts anscheinend nicht.
Was ich im Internet an Texten finden konnte, habe ich hier zusammengestellt:
  1. Professor Pauly, Beschreibung des Oberamts Wangen (1841). Die einschlägige Textpassage steht auf S. 136. Als Daten werden dort nach einer Quelle der Dezember 1389 genannt, nach einer anderen der 22.07.1389. Damals, so heißt es dann weiter, "..... gedachte Hans Truchsess von Waldburg mit 500 Bewaffneten, darunter die Herren von Ellerbach, von Asch und andere waren, die Stadt Wangen zu überrumpeln. Kaum noch zu rechter Zeit, als der Feind schon unter dem Tor war [also bereits in die Stadt eingedrungen?] merkten die Bürger sein Vorhaben und setzten sich zur Wehre, wo denn vor allem die Schmiedezunft mit kräftigen Armen und gewichtigen Waffen, mit Zangen und Hämmern auf den eindringenden Haufen so nachdrücklich losarbeitete, dass der Truchsess mit zerschmettertem rechten Bein sich zurückziehen musste und todesschwach die Burg Leupolz erreichte .....". (Der Fortgang ist hier weniger interessant: Die Burg wurde belagert und Johannes II. von Waldburg gefangen genommen. "Todesschwach" war er wohl nicht, denn er lebte noch bis 1424 und hat nach diesem Ereignis sogar noch zweimal geheiratet - nachdem zwei weitere Frauen gestorben waren. Wovon der dann auch seinen Spitznamen "Hans mit den vier Frauen" bekommen hat.)
  2. Karl von Martens, Geschichte der innerhalb der gegenwärtigen Gränzen des Königreichs Württemberg vorgefallenen kriegerischen Ereignisse: vom Jahr 15 vor Christi Geburt bis zum Friedensschlusse 1815 (1847, S. 85/86). Da sich der Autor auf das vorerwähnte Buch von Pauly stützt, bietet es keine eigenständige Darstellung bzw. Untersuchung.
  3. Baumann, Franz Ludwig / Rottenkolber, Josef: Geschichte des Allgäus, von den ältesten Zeiten bis zum Beginne des neunzehnten Jahrhunderts, Bd.: 2., Das spätere Mittelalter, Kempten, [1883 - 1895]. Dort heißt es (S. 30): "Er [Hans von Waldburg] sammelte seine Freunde und Kriegsleute, im Ganzen 500 Mann, und versuchte mit denselben Wangen zu überrumpeln. Wirklich gelang es ihm, durch das Schmiedtor [das mittlerweile abgerissene Peters-Tor oder Leutkircher Tor; in einer alten Ansicht hier abgebildet] in die Schmiedgasse [heute: Schmiedstraße; das wird ihr eher gerecht, denn eine enge Gasse ist das nicht!] dieser Stadt einzudringen, hier aber fielen die Schmiede ergrimmt aus ihren Werkstätten über die Eindringlinge her und hämmerten sie zum Tore hinaus. Dem Truchsessen selbst wurde hiebei das rechte Bein zerschmettert, weshalb seine adeligen Genossen sich entschlossen, ihn in die nahe gelegene Burg Leupolz zu verbringen."
  4. Eine neuere Beschreibung stammt von Bernhard Pesch aus seinem Buch "Waldburg. Das Haus und die Burg" (2010), S. 28: "Als Folge der Schlacht von Sempach [1386 gegen die Schweizer] wurden 1389 alle Städtebünde im Reich verboten, was für diese natürlich ein Kriegsgrund war. So erklärte bald drauf Johannes von Waldburg der Stadt Ravensburg den Krieg, weshalb die erbosten Ravensburger das Stadtschloss des Waldburgers zerstörten. Wenig später war Johannes an einem Überfall auf Wangen beteiligt. Die bewaffneten Adeligen drangen beim Schmiedeviertel in die Stadt ein. Hier aber rüsteten sich die Schmiede mit ihrem Werkzeug und es gelang ihnen, die Angreifer zurückzuschlagen. Johannes Knie wurde von einem Schmiedehammer zerschmettert, weshalb er von seinen fliehenden Mitstreitern auf der Burg Leupolz zurückgelassen wurde."
  5. Der Wangener Peter Treiber hat dem Vorgang auf seiner Webseite "Mein Allgäu. Eindrücke aus Oberschwaben" eine ganze (bebilderte) Unterseite "Wie die Bürger von Wangen vor einem gefährlichen Überfall bewahrt wurden" gewidmet. Er datiert den gescheiterten Eroberungsversuch auf den 31.07.1389 und schildert auch den Hintergrund recht ausführlich: "Die Reichsstädte Konstanz, Überlingen, St. Gallen, Lindau, Ravensburg, Friedrichshafen und Wangen schlossen sich „im Bund der Bodenseestädte“ zusammen – sehr zum Ärger der Adeligen - , um sich gemeinsam gegen Adel, Fürsten und Ritter verteidigen zu können. Die Adeligen marschierten unter der Führung des Herzogs Stephan von Bayern und Graf Eberhard von Württemberg in Richtung Bodensee. Ihr einzunehmendes Ziel war jedoch Ravensburg. Der Truchsess von Waldburg sollte zur gleichen Zeit Wangen zur nächtliche Stunde überfallen und außer Gefecht setzen. Somit wären beide Städte bestraft und ihre Einwohner gedemütigt worden." Und zum Ereignis selber: "Es war der 31. Juli 1389 . Mit schweren Geschützen schlug der Truchsess Hans von Waldburg mit seinen 500 Kriegern und Rittern gegen die nächtlich geschlossene hölzerne Tür des St-Peters -Tor ( Leutkircher Tor) , durch das sie durch die Schmiedstraße in die Stadt eindringen konnten. Zuvor hatten sie sich leise an die Ort des Geschehens angeschlichen. Doch dort erwartete die Eindringliche eine sehr unangenehme Überraschung. Die Schmiedstraße hatte ihren Namen von den dort lebenden Schmieden. Mit ihren schweren eisernen Schmiedehämmern, ihren Gabeln und Äxten droschen sie auf die verdutzten Eindringlinge ein, zogen und stießen sie von ihren Pferden, töteten und verwundeten viele von ihnen. Die Ritter lagen mit ihren schweren Rüstungen blutüberströmt in der engen Schmiedstraße. Dem Truchsess erging es fürchterlich. Ihm wurde beim Kampf ein „Bein abgeworfen“. ..... Schwerverwundet floh auch Hans Truchsess von Waldburg auf die nahe Burg Leupolz ...... ." Im Anschluss wird die Belagerung der Burg und die Gefangennahme des Adeligen geschildert. Interessant ist aus der "Schlussbemerkung" der Satz: "Noch ist nicht ganz geklärt, wie die Schmiede rechtzeitig vom nächtlichen Überfall erfahren haben. Eine Legende berichtet, dass eine alte Frau die Ritter bei der Vorbereitung ihrer Tat zufällig belauscht  und einen Boten nach Wangen geschickt habe." Die Stadt war also jedenfalls nicht unvorbereitet auf den Angriff.
Vielleicht enthält die "Stadtchronik Wangen im Allgäu" des Stadtarchivars Dr. Rainer Jensch (der auch das o. a. Historienspiels verfasst hat) weitere Einzelheiten. Allerdings ist sie, nach einem Bericht über ihre Entstehung zu schließen, wohl keine eigentliche Forschungsarbeit, sondern eben eine Chronik (Inhaltsbeschreibung des Buches hier; Bericht über die Präsentation auch auf der Webseite der Stadt. Bemerkenswert, dass die gesamte Auflage von 3.000 Exemplaren bereits vergriffen ist). Vermutlich sind - von Heimatforschern? - Aufsätze über diese erfolgreiche Vertreibung eines bereits in die Stadt eingedrungenen Feindes verfasst worden. Eine spannende Frage wäre für mich, ob man die Schmiedstraße abgesperrt hatte. Gegen eine eindringende Reitertruppe wäre das nicht allzu schwierig gewesen: Man hätte nur einige Pferdewagen aufstellen müssen. Ein taktischer Fehler der Angreifer dürfte es gewesen sein, dass die Adeligen vermutlich hoch zu Ross in die Stadt eindrangen. Dadurch konnten sich die Fußtruppen nicht entfalten, und wenn die Schmiede die Reiter von der Seite, aus ihren Häusern heraus, attackiert haben (oder vielleicht sogar mit Wurfgeschossen aus den Fenstern), dann hatten die Ritter schlechte Karten. Denn dass die Schmiede erfolgreich gewesen wären, wenn sie sich auf der Straße als Fußtruppe den Reitern entgegengestellt hätten, möchte ich eher bezweifeln.Aber, wie gesagt: Eine ausführliche Beschreibung der damaligen Vorgänge gibt es leider offenbar nicht.
 
 
Vergessen wir also dieses unlösbare Problem und schauen wir uns zum Abschluss noch ein wenig in der Stadt um; diesmal mit Hilfe mehrerer Videofilme:
 
Sollten Sie jemals Wangen besuchen, haben Sie vielleicht Glück und besseres Wetter als wir. Doch SO wie in diesem aus einer Drone aufgenommenen Video bekommen auch Sie die Stadt nicht zu sehen:


 
Einen liebevoll aufgenommenen Herbstfilm zeigt ein "Piconocio":


Weniger schön sind, jedenfalls für die Betroffenen, Naturkatastrophen; hier das Hochwasser von 1999: 


"Alles" von Wangen zeigt Alan Heath in seinem fünfunddreißigminütigen Film:

 
Auch sehr ausführlich (20 min.) diese "Street View" von einem Manfred Auer:


 
Einen Überblick in ca. 5 Minuten bietet Hans Driessen:

 
 


ceterum censeo
Wer alle Immiggressoren der Welt in sein Land lässt, der ist nicht "weltoffen":
Der hat den A.... offen!
Textstand vom 11.04.2018

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